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DRY

Kennt ihr diese Bücher, die ihr beim Lesen mehrmals weglegen müsst, um kurz durchzuatmen, aber im selben Atemzug wieder direkt zugreift, weil ihr nicht aufhören könnt weiter zu lesen? So ging es mir bei Dry von Christine Koschmieder, ein Buch, dass mich ziemlich mitgenommen und abgeholt hat.

 

Dry ist ein autofiktionaler Roman, in dem die Autorin unglaublich viel von sich preisgibt, was ich total mutig finde. Man ist sehr nah an der Protagonistin und kommt kaum darum herum die Situationen mitzufühlen und das Geschilderte bildhaft vor sich zu haben. Viele können durch die tiefe Zugänglichkeit vielleicht auch eigene persönliche Anknüpfungspunkte darin finden.

 

Der Schreibstil von Koschmieder hat hier etwas soghaftes, so dass man trotz der harten Thematik, kaum aus dem Lesefluss rauskommen kann. Ich zumindest habe das Buch vergleichsweise schnell durchgezogen, trotz der vielen kleinen Pausen, um an die Decke zu starren oder Taschentücher zu holen.

 

Wir begleiten die Autorin durch verschiedene Zeiten ihres Lebens, womit sie ihren Weg in die Sucht rekonstruiert. Dabei stehen die eigene Abhängigkeit und der Alkohol aber gar nicht unbedingt im Vordergrund, viel mehr geht es um die Rekonstruktion des Weges dorthin und die Aussicht auf den Weg daraus. Ich finde das eine angenehme Abwechslung zur üblichen QuitLit, in der häufig die Höchstphase der Abhängigkeit das Zentrum bildet. Neben der eigenen Abhängigkeit und der der Eltern werden hier auch Tod, Trauer und Mutterschaft behandelt, alles in einer beeindruckenden Klarheit, bei der kein einziges hartes Detail verschwiegen wird. 

 

Dry zeichnet sich durch eine Klarheit und Rohheit aus, die ich so selten gelesen habe. Gerade bei solchen Themen, die so schmerzhaft sind, dass man lieber darüber schweigt. Wie sich Christine Koschmieder ihrem eigenen Schmerz nähert und ihn in eine literarische Form bringt, ist beeindruckend. Hier legt jemand das eigene Leben offen, was natürlich auch Angriffsfläche bietet und unglaublich viel Mut erfordert. Aber es bietet eben auch die Möglichkeit zu verstehen. Als Leser*in kann man sich durch die Erzählung auch dem eigenen Schmerz stellen und sich ein Vorbild an dieser radikal ehrlichen Offenheit nehmen. Mir hat dieses Buch zumindest eine Menge persönlich gegeben.



DRY

von Christine Koschmieder

 

erschienen 2022 im Kanon Verlag

- Rezensionsexemplar -


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