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Muttermilch

Muttertag kann ein schöner Tag sein, an dem Töchter und Söhne Zeit mit ihren Müttern verbringen. Aber es kann auch ein schmerzhafter Tag sein, an dem man die eigenen Leerstellen in der Familie spürt. Nicht jede*r hat eine gesunde Beziehung zur eigenen Mutter, der Kontakt kann manchmal auch mehr schaden als guttun und manchmal scheint es sogar das Beste zu sein, sich von der eigenen Mutter komplett zu distanzieren.

 

Rachels Therapeutin empfielt ihr eine kommunikative Diät von ihrer Mutter, 90 Tage soll sie keinen Kontakt zu ihr haben, um sich voll und ganz auf ihre Heilung zu konzentrieren. Rachel hat eine Essstörung und ihre Mutter trägt maßgeblich dazu bei, dass sie schon seit Kindheitstagen mit sich selbst, ihrem Körper und ihrer Lust hadert.



Melissa Broder zeichnet in "Muttermilch" die Geschichte einer jungen jüdischen Frau, die sich Frozen-Yoghurt für Frozen-Yoghurt aus diesem Diät-Wahnsinn befreit und nebenbei noch ihre Sexualität und ihre Religion aushandelt. Die ihr Begehren (wieder)entdeckt, es anerkennt und immer mehr dazu bereit ist es zu stillen. Ein Begehren nach Essen, nach Sex, nach Liebe, nach ihrem eigenen Selbst, das irgendwo dazwischen steckt.

 

„Muttermilch“ von Melissa Broder hat mich von der ersten Seite an komplett gecatched und hielt mich bis zum Ende auf Zack. Mit klaren Worten und viel Witz gleicht sich die Schwere der Themen wieder aus und macht das Buch zu einer insgesamt intensiven Lektüre, für die man sich bereit machen sollte. Der Wechsel aus tiefen Einblicken in die Psyche der Protagonistin, die detaillierten Sexszenen und absurden Alltagssituationen, führen beim Lesen zu einem Wechselbad an Gefühlen. Intensiv und aufwühlend, wegen der Themen mit Vorsicht zu genießen, aber doch insgesamt richtig schmackhaft.

 

Ein Meisterwerk, das definitiv nun einen Platz auf meiner Lieblingsbücher-Liste einnehmen darf! ❤️‍🔥

 


Ergänzend eine kleine persönliche Notiz:

 

Meine große Liebe zu dem Buch rührt auch daher, dass ich mich fast ein bisschen zu gut mit der Protagonistin identifizieren konnte. Aber ich würde mal behaupten, dass das wahrscheinlich viele weiblich sozialisierte Personen können. Denn besonders Frauen werden durch die Diät-Kultur und den Schlankheitswahn klein gehalten, bevor sie überhaupt richtig zu wachsen angefangen haben. Selbstzweifel, Körperbild- und Essstörungen aller Art sind leider keine Seltenheit bei Frauen, explizit darüber gesprochen wird aber meines Erachtens noch viel zu selten und schambehaftet.

 

Dass es in „Muttermilch“ um Essstörung geht, erklärt sich auf dem Buchrücken, aber trotzdem der Hinweis: Falls ihr euch mit expliziten Beschreibungen von Essen und Hungern und (negativen) Gedanken und Aussagen rund um das Thema Essen und Körperbild unwohlt fühlt oder euch das Thema aktuell sehr belastet, genießt das Buch eher mit Vorsicht. Ich habe wegen der Themen auch eine ganze Weile gebraucht, bis ich mich ans Lesen rangetraut habe. Am Schluss kann ich aber mit Überzeugung sagen, dass es mir mehr Wohl als Wehe bereitet hat und die Darstellung einer essgestörten Protagonistin, die nicht in Selbstzerstörung verharrt und in der Darstellung nur auf ihre Krankheit reduziert bleibt, längt überfällig war.


Muttermilch

von Melissa Broder

 

aus dem Englischen (Milk Fed) übersetzt von Karen Gerwig

erschienen 2021 bei Ullstein


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