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Wege zur Haarmonie

Das erste Mal als ich meine Körperhaare bewusst wahrgenommen habe war ungefähr mit zwölf Jahren, als sich die Auswüchse der Pubertät an zuvor belanglosen Stellen meines Körpers langsam bemerkbar machten. Es war eine Zeit, in der das körperliche Erscheinungsbild und Weiblichkeit langsam eine immer größere Rolle für mich spielten und die Bravo Girl zur regelmäßigen Pflichtlektüre wurde.

 

Wir Mädchen in der Klasse sprachen nicht viel darüber, aber es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir stets haarlos zu erscheinen hatten. Ansonsten warst du raus aus dem Club der Schönen und Begehrenswerten, der sowieso noch ganz viele andere unerreichbare Anforderungen stellte. Ich wollte auch dazugehören, zu den Frauen, zu den Begehrenswerten, zu den Schönen.  Schon früh sah ich meine Mutter im Badezimmer, mit ihrer stundenlangen Pflegeritualen, die auch die Entfernung und Eingrenzung jeglicher Körperhaare mit sich zog. Mein Vater meinte, in dem Alter müsse ich mich doch noch nicht rasieren, aber für Männer gelten ja auch andere Regeln. Diese Haare gehörten da nicht hin, das haben mir die Frauen in meinem Umfeld und in der Werbung demonstriert und ich nahm das Gesetz an, ohne Widerspruch einzulegen.

 

Also begann ich mit einem pinken Stück Plastik meine an einer Hand abzählbaren weichen blonden Härchen zurechtzuweisen. Natürlich wurde ich nicht als Rasierprofi geboren, probierte einiges aus und verletzte mich nicht nur einmal. Auch wenn die Haut an meiner Vulva und unter meinen Achseln gereizt war, sie rot und pickelig wurde, auch wenn ich von eingewachsenen Haaren schmerzhafte Entzündungen bekam, auch wenn ich Juckreiz hatte und Deo unter den Armen danach wie die Hölle brannte. Das Enthaarungsritual wurde seitdem konsequent durchgezogen, koste es so viel Klingen und Rasierschaum wie es wolle.

 

Behaart zu sein war keine Option für mich, vor allem nicht, wenn mein Körper für andere sichtbar wurde. Ich hatte es nicht gewagt, mit einem potenziellen Sexualpartner in Kontakt zu kommen, ohne aufs Feinste rasiert zu sein. Nicht rasiert zu sein war für mich ein klares Ausschlusskriterium für sexuellen Kontakt, aber dieser Anspruch galt natürlich nur für mich selbst. Das war eben meine Aufgabe als Frau, das waren die Erwartungen und die hatte ich zu erfüllen, keine Diskussion. Zu groß war die Angst vor Ablehnung, vor einem Erlebnis von Scham, vor den Konsequenzen, ihm nicht zu gefallen.

 

Lange habe ich mich unhinterfragt einfach rasiert, es gehörte zur Routine, war eine alltägliche Praxis, so selbstverständlich wie Zähneputzen. „Ich mache das, weil ich mich damit wohlfühle, weil ich es schön finde. Unrasierte Frauen finde ich nicht schön, sie sind ungepflegt und unweiblich.“ Das war auch das Bild, das mir mein Umfeld und die Medien, die ich konsumierte, bestätigten. Dass dieses Bild durch sie gerade erst entstand, wurde mir aber erst später klar.

 

Irgendwann bekam ich auch andere Bilder zu sehen, ungewohnte Bilder, die mich im ersten Moment sehr irritierten. Aus löchrigen Jeans lugten dunkle Härchen hervor und stolz präsentierten manche ihre Haarpracht unter den Armen. Da waren beharrte Frauen, die sich selbstbewusst damit zeigten, die sich bewusst dafür entschieden, unrasiert zu sein. Nun und ich habe mich eben auch frei dazu entschieden, mich regelmäßig vollständig zu rasieren, oder etwa nicht?

 

Ich bekam auf Instagram von einer Challange mit, bei der Frauen das erste Mal ihre Haare wachsen lassen, um zu lernen den eigenen Körper in seinem natürlichen Zustand anzunehmen. Und um an der zutiefst ungesunden Beziehung mit meinem Körper zu arbeiten, machte ich mit. 

 

Täglich rang ich unter der Dusche mit den verinnerlichten Schönheitsnormen. Ich schaute meine Haare an, manchmal mit Faszination und Neugierde, manchmal mit Abneigung und Scham. Schon verrückt, dass ich mit Anfang Zwanzig das erste Mal meine Haare in ihrer natürlichen Form frei wachsen sehe. Während ich anfangs noch ständig darüber nachdachte, sie immer wieder begutachtete, gerieten sie langsam immer mehr in Vergessenheit.

 

Aber ich war noch lange nicht frei von verinnerlichten Normen und der Meinung anderer. Vor Freund*innen war ich locker, aber im öffentlichen Raum noch unsicher und ließ die Arme beim Tanzen dann doch mal lieber unten. Wie würden andere darauf reagieren, was würden sie von mir denken? Ich will keine von diesen ekligen ungepflegten Feministinnen sein, ich will doch immer noch schön und begehrenswert sein, immer noch eine Frau sein. Dass es Menschen gibt, denen meine Körperhaare komplett egal sind oder die sie sogar schön finden, war unvorstellbar für mich. Dass es nicht darum geht, dass andere mich schön finden, sondern ich mich selbst in meinem Körper wohl fühle, noch abwegiger. Und dass äußere Schönheit nicht meinen Wert bestimmt, war nochmal eine ganz neue Nachricht.

 

Es hat eine Weile gedauert, bis ich auch verstanden hatte, wie eng Körper und Politik miteinander zusammenhängen. Es ist ein laufender Prozess, mich immer wieder neu zu hinterfragen, ob ich oder jemand anderes die Macht über mich und meinen Körper hat. Wer bestimmt, wie er auszusehen und sich zu bewegen hat oder ob ich es bin, die gerade wirklich frei darüber entscheidet.

 

Ich habe keine Lust mehr, mich an irgendwelche fremdbestimmten Ideale zu halten, die nur dazu dienen, mich klein zu halten, mich zu begrenzen, mir zu vermitteln, dass mein Körper, so wie er ist, nicht richtig ist, keine Daseinsberechtigung in seinen Formen hat. Ich will einfach sein, ohne Bewertung, ohne Zwang, nicht im Kampf mit meinem eigenen Körper stehen, ich nicht ständig zurechtstutzen und eingrenzen müssen. Ich will einfach nur Ha(a)rmonie.

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