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Trigger Warnung

Sind wir zu sensibel für Diskussion und Auseinandersetzung geworden? Halten wir Kontroversen und Uneindeutigkeit nicht mehr aus? Gerade in linken Blasen kommt es immer wieder dazu, dass darin ein Kampf um Identitäten entsteht. Wer am meisten Diskriminierungserfahrung vorweisen kann und am korrektesten formulieren kann, hat gewonnen.

 

Wenn ich alle Hände voll zu tun habe, bloß niemandem auf den Schlips zu treten, habe ich aber keine Faust mehr frei, um Nazis zu kloppen.

 

Während wir also in unseren Bubbles verharren und uns darin in Kleinigkeiten gegenseitig zurechtweisen, verlieren wir die Fähigkeit nach außen zu treten und Kämpfe gegen die großen Probleme zu führen. Denn sind wir mal ehrlich: Ob ich hier jetzt korrekt gendere und alle Geschlechtidentitäten in meine Aussagen miteinbeziehe, ist im Anbetracht der realen politischen Verfolgung queerer Menschen und des zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft ein echt kleines Problem. Und schon mit dieser Aussage begehe ich einen kleinen Drahtseilakt, denn Kritik an der eigenen linken Theorie und Praxis ist nicht davor gefeit, womöglich rechte Argumentationsmuster zu bedienen. 


Unbezahlte Werbung / Rezensionsexemplar


Das Buch Trigger Warnung aus dem Verbrecher Verlag ist sich auch dieser Gefahr bewusst, es trägt hohes Potential zu irritieren und zu verletzen. Daher auch die Triggerwarnung an alle, die sich als links und Ismen-kritisch verstehen.

 

Das Buch wirbt für mehr Fehlertoleranz in linken Kreise, für das Aushalten von Widersprüchen, für eine Öffnung und Irritation der elitären Sprachsymbolik. Denn das brauchen wir, wir müssen den Diskurs öffnen, nicht darin verharren, aktiv bleiben, statt in Resignation aus Angst vor Fehltritten zu verharren.

 

Identitätspolitik und ihre Fallstricke werden hier in drei Themenbereichen verhandelt: Abwehr, Abschottung und Allianzen. Das Sammelband mit insgesamt 20 Texten wurde von Mitgliedern der Bildungsstätte Anne Frank herausgegeben, die sich täglich mit Identitätspolitiken auseinandersetzen.

 

Mein einziges Problem mit dem Buch war die hohe Schwelle der Zugänglichkeit, die so oft bei Sachliteratur im linken Spektrum besteht. Denn wo ein gewisser Anspruch auch darin bestand, vom elitären Diskurs wegzukommen, war es sprachlich doch auf einem Niveau, das eine Menge begriffliches Vorwissen voraussetzt. Dennoch sind die Texte nicht unzugänglich oder trocken.

 

Das Buch ist jetzt schon in der dritten Auflage erschienen und scheint nicht an Relevanz zu verlieren. Eher das Gegenteil ist der Fall denn, die darin verhandelten Debatten sind aktueller denn je. 

 

Die einzelnen Beiträge regen sehr dazu an, das eigene linke Denken und Handeln zu hinterfragen, das ja grade im Social Media Aktivismus gerne noch konzentrierter stattfindet als im realen Leben. Die Texte zeigen deutlich, dass es nicht immer nur schwarz und weiß gibt und das gerade dieses Denken in Kategorien uns in Sackgassen führt, uns vereinzeln lässt und uns damit in unserer gesamten politischen Sprengkraft auseinander zerrt. Wir dürfen die Bühne nicht den Rechten überlassen, während wir uns in unsere stillen Safe-Spaces verkriechen.

 

Es ist nicht zu bestreiten, das schon einiges geschafft wurde und keiner dieser Schritte innerhalb des elitären Kreise zurückgetreten werden soll. Aber ich glaube, dass da noch viel mehr Potential und Kraft liegt, wenn wir uns trotz Unstimmigkeiten miteinander verbünden und nicht in Details auseinander differenzieren. Denn im Kern stehen wir alle für die gleichen Werte ein und das ist es, was uns von den Rechten unterscheidet, uns stark macht und ein Grund für Zusammenhalt im Innen und Außen ist.

 

Lasst uns raus aus der weißen Weste und schmutzig werden!

Lasst uns die elitären Blasen zerplatzen, auch wenn es wehtut!


Trigger Warnung

Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen

 

Herausgegeben von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel

erschienen 2019 im Verbrecher Verlag

 

Vielen Dank für das Rezensionexemplar!


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