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"Ein Manifest über den weiblichen Körper" ?

Worüber wir nicht sprechen sollen, es jetzt aber trotzdem tun - Nimko Ali

 

„Ein Manifest über den weiblichen Körper“

 

 

So lautet der Untertitel dieses Buches von Nimko Ali, in dem sie intime und unzensierte Geschichten von Frauen versammelt. Dieser Bezeichnung kann ich aber nur bedingt zustimmen. 

 

Das Buch ist unterteilt in 4 Kapitel, in denen unterschiedliche Frauen ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu den jeweiligen Themen erzählen. Die Autorin erzählt auch ihre eigenen Geschichte und kommentiert die Berichte der anderen Frauen.

 

 

 

 


Schon gleich an der Einführung habe ich mich gestoßen, denn die Definition Frau wird hier reduziert auf das Vorhandensein einer Vagina und das Erleben von Periode, Orgasmus, Schwangerschaft und Menopause. Durch diese Stationen seien alle Frauen gleich, was Geschichten, die von dieser aufgemachten Norm abweichen, gänzlich ausschließt.

 

Vorneweg sollte hier schon eine ganz große Triggerwarnung stehen, zu allen möglichen Themen rund um den weiblichen Körper und Sexualität. Die Frauen berichten unzensiert und schonungslos über FGM (weibliche Genitalverstümmelung), Vergewaltigung, Zwangsehen, Gewalt und Unterdrückung in jeglicher Ausformung.

 

Die Autorin nimmt zwar immer wieder selbst Stellung zu den Geschichten, kommentiert diese mit Fakten und versucht eine positive Komponente daraus zu ziehen, aber das gelingt nicht wirklich. Positive Geschichte, die etwa einen erfolgreichen Kampf gegen die Gewalt und Unterdrückung erzählen, fehlen gänzlich.

 

Entsprechende ist auch der Gesamtton des Buches überwiegend negativ und das Leseerlebnis eher belastend als bestärkend. Gerade wenn eine negative Geschichte auf die nächste folgt, frage ich mich, wie man daraus als Leser*in Empowerment ziehen soll. Außerdem finde ich die Kommentare der Autorin nicht ausreichend und häufig nicht genügend reflektiert.

 

Eine Frau namens Muna spricht bspw. im Kapitel zu Orgasmen über ihre Vergewaltigung und die traumatischen Folgen für ihr sexuelles Empfinden. Am Schluss kommentiert Ali aber nur, wie toll es ist, dass sie danach mit einem anderen Mann einen Orgasmus über ihre Füße hatte. Überhaupt das ganze Kapitel über Orgasmen dreht sich nur darum, dass diese von Männern abhängig sind und von ihnen hervorgerufen werden oder eben nicht.

 

Es geht der Autorin darum, mit dem Schweigen über diese vermeintlichen Tabuthemen zu brechen, die Macht über sie und damit auch über den eigenen Körper wiederzuerlangen. Ich finde es unglaublich wichtig, über diese Themen zu sprechen und über die Gewalt, der Frauen tagtäglich ausgesetzt sind.

 

Aber neben der Schilderung dieser gewaltsamen Erfahrungen findet sich kein Hilfsangebot, keine Möglichkeit zur Ermächtigung oder Auswege. Die Grundmessage bleibt für mich am Ende: Super scheiße, was diesen Frauen angetan wurde und wird, aber irgendwie lässt es sich schon ertragen. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass das für Leser*innen mit ähnlichen Erfahrungen bestärkend wirkt.

 

Das Lesen ist nicht einfach, viele Geschichten sind schockierend und gewaltvoll und umso schlimmer fand ich es, dass sie dann so spärlich kommentiert im Raum standen und nicht eingeordnet wurden. Mich hat es aber auch dazu gebracht, meine eigenen Privilegien als weiße Frau in Deutschland nochmal deutlich zu erkennen. Ich habe das Glück, niemals in die Berührung mit Zwangsehe, FGM oder anderen Zwängen in Bezug auf meinen Körper und meine Sexualität gekommen zu sein. Die Frauen in diesem Buch hatten das nicht, und um diese Erfahrungen nicht mit noch mehr Scham zu verhüllen, schafft Ali hier einen Raum um sie zu teilen.


Fazit: 2,5/5 ⭐️

 

Die Intention des Buches und der erste Eindruck hat mich sehr angetan, aber von der Umsetzung war ich leider enttäuscht. Das Buch hatte eine Menge Potential, das aber leider nicht genügend ausgeschöpft wurde.

 

Der Titel und die Beschreibung passen überhaupt nicht zum Inhalt, der durchweg negativ und belastend ist und für mich als Leserin keine bestärkende Wirkung hervorruft. Zudem finde ich die Definition von „Frausein“ hier zu eng gefasst und die Themen zu stark auf eine bestimmte Perspektive begrenzt. Außerdem fehlt mir häufig der reflektierte Umgang dieser teilweise sehr gewaltvollen Erlebnisse und der Strukturen, die dahinter stecken.

 

Das alles mindert nicht die Bedeutsamkeit, diesen Themen einen Raum zu geben und Betroffene sprechen zu lassen. Die Arbeit der Autorin und Frauenrechtsaktivisten Nimko Ali schätze ich sehr wert, nicht nur mit diesem Buch, sondern auch mit der Organisation „The Five Foundation“, die sich weltweit gegen FGM einsetzt. 


 

Worüber wir nicht sprechen sollen -

es jetzt aber trotzdem tun

Ein Manifest über den weibliche Körper 

 

von der britischen Frauenrechtsaktivistin Nimko Ali

aus dem Englischen übersetzt von Kristin Lohmann

erschienen 2021 im Goldmann Verlag

 

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

 


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